Das Feindbild des Altherrenclubs - WELT (2024)

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"Eigentlich will ich gar nicht in der Öffentlichkeit stehen", sagt Alexandra Merz. "Mir wäre es viel lieber, ich könnte in Ruhe meine Arbeit machen." Diese sei doch recht unspektakulär, sie sei eine ganz normale Analystin, die für ihre Rating-Agentur Scope Tag für Tag Zahlenkolonnen studiere und daraus Schlüsse ziehe.

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Das sehen die Vertreter der Branche der offenen Immobilienfonds ganz anders. Für manche ist Merz zum Feindbild schlechthin geworden. Sie muß sich öffentlich als "tendenziös" oder "verantwortungslos" beschimpfen lassen. Andere bezeichnen sie als PR-süchtig. Nur wenige halten das, was sie in den vergangenen Jahren geschafft hat, für wichtig und richtig.

Denn Merz hat eine ganze Branche aufgewühlt. Sie hat einen Altherrenklub aufgemischt, der über Jahrzehnte unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor sich hin kungelte. Traditionell funktionierte das so: Anleger investierten in die Fonds jedes Jahr einige Millionen Euro. Die Manager kauften davon ein oder zwei Gebäude. Am Ende des Geschäftsjahres gaben sie sich die Ehre und luden eine Handvoll Fachjournalisten in ihre gediegenen Hallen. Dort trugen sie bräsig die ansehnlichen, aber unspektakulären Renditen vor, die sie erzielt hatten. Das war's. Medien und Anleger waren zufrieden.

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Doch seit ein paar Jahren ist nichts mehr, wie es war. Es begann mit dem Börsencrash des Jahres 2000. Investoren suchten fieberhaft nach sicheren Alternativen und fanden sie in den offenen Immobilienfonds. Diese hatten noch nie Verluste eingefahren, die Renditen lagen zwischen vier und sechs Prozent. Das war nicht viel, aber die gebeutelten Anleger waren genügsam geworden.

So wurden diese Fonds in den Jahren 2001 bis 2003 geradezu von Anlegergeldern überschwemmt. Ihre Verwalter waren plötzlich Helden und überstrahlten all die Verlierer der Börsen. Da kamen sie auf die Idee, ihren Erfolg durch ein offizielles Siegel adeln zu lassen. Ein Rating sollte diesem Zweck diesen, also eine Bewertung der Fonds durch eine externe Agentur, wie dies auch für Anleihen oder Aktienfonds schon lange üblich war. Erwählt wurde dafür die US-Rating-Agentur Moody's. Dort arbeitete Alexandra Merz.

Die junge Frau hatte damals schon eine schöne, aber unauffällige Karriere hinter sich. Geboren und aufgewachsen war sie in einem idyllischen Dorf im Schwarzwald, in der Nähe von Rottweil. Nach der Schule zog es sie in die Welt hinaus. "Irgendwann reichen einem die Tannenbäume nicht mehr", sagt sie dazu heute verschmitzt. Sie studierte an der European School of Business in London und Reutlingen.

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Ihr erster Arbeitgeber war die Deutsche Bank in Paris. Ganz bewußt zog sie nach Frankreich - ohne ein Wort Französisch zu sprechen. Der Grund war ihr erstes Kind, das sie kurz davor bekommen hatte. In Deutschland wäre dies wahrscheinlich das Aus für jedwede Karriere gewesen. "In Frankreich ist es dagegen wesentlich einfacher, Beruf und Familie zu vereinbaren", sagt sie.

Nach drei Jahren warb eine französische Tochter der Commerzbank sie ab. Wann das war? Merz muß kurz überlegen. "1994", sagt sie dann. "Da wurde mein zweites Kind geboren." Sie ordnet Ereignisse zeitlich anhand der Geburtsdaten ihrer Kinder ein. Weitere drei Jahre später - das dritte Kind war da - wechselte sie als Analystin zu Moody's.

Möglicherweise hätte Merz hier über Jahrzehnte, bis zu ihrer Pensionierung, genau das machen können, was sie so gern tut: in Ruhe Fonds analysieren. Doch dann traf sie auf die Branche der offenen Immobilienfonds.

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Dabei prallten Welten aufeinander. Hier die behäbigen und verschlossenen Geschäftsführer der offenen Immobilienfonds, die sich in ihrem unerwarteten Erfolg sonnten. Da die quirlige Frau, die so schnell spricht, daß sie sich immer wieder verhaspelt und in unendlichen Assoziationsketten ständig neue Fragen streift. "Ich bin frech und spitzbübisch", sagt sie über sich selbst. Das war sicher das letzte, was der Fondsclub in seiner Mitte haben wollte.

Aber Alexandra Merz sollte ja nur das Gütesiegel liefern. Man gab ihr daher zwei Monate Zeit für ein Probe-Rating. "Das war eigentlich unmöglich", sagt Merz heute. Sie hatte zwar bereits Erfahrung mit der Einschätzung von Fondsmanagern und konnte ihre Performance einordnen. Von Immobilien verstand sie jedoch damals überhaupt nichts.

Dennoch lieferte sie zum vereinbarten Termin ihre Ergebnisse ab. "Eigentlich sollten diese Ratings vertraulich bleiben, es war ja nur ein Probelauf", sagt Merz. Einige Tage später standen sie jedoch in der Zeitung. Wer sie lanciert hatte, weiß sie bis heute nicht, will sie auch gar nicht wissen. Aber klar ist: Die Ratings waren genau das, was die Fondsmanager haben wollten, ausschließlich gute oder sehr gute Noten. Moody's bekam den Auftrag.

Für Merz begann jedoch eine schwere Zeit. Ihre Ratings wurden zur Lachnummer. "Das war der Gag schlechthin", erinnert sich Stefan Loipfinger, einer der wenigen anderen Experten des Marktes. "Sie hatte einfach keinerlei Ahnung und bewertete beispielsweise den schlechtesten Fonds von allen mit einem "sehr gut"", sagt er.

Sie selbst sieht diese Zeit heute auch kritisch. "Wir waren zu unerfahren, und die Kritik war zum großen Teil berechtigt." Doch sie gab nicht auf. "Aus Niederlagen entstehen unglaubliche Kräfte", sagt sie. In den kommenden Monaten arbeitete sie Tag und Nacht, drang tief ins Thema ein und paßte ihre Ratings nach und nach an.

Doch im Sommer 2003 - das fünfte Kind war gerade zur Welt gekommen - folgte der nächste Tiefschlag. Es kam zum Zerwürfnis mit ihrem Arbeitgeber. Man trennte sich, Moodys wurde der Rating-Auftrag entzogen, und Merz saß zu Hause. Sollte die ganze Arbeit der vergangenen Monate umsonst gewesen sein?

Sie beschloß, auf eigene Faust weiterzumachen und gründete zusammen mit der Rating-Agentur Scope eine neue Gesellschaft, die offene Immobilienfonds bewertet. Anschließend bewarb sie sich wieder um einen Auftrag der Branche. Allerdings hatte sich die Lage inzwischen völlig verändert. Die Aktienmärkte erholten sich, Anleger zogen ihr Geld aus den offenen Immobilienfonds ab. Die kurze Phase des Glücks war vorüber, zunehmend bekamen die Fonds sogar Probleme, weil sie nicht so schnell Gebäude verkaufen konnten, wie die Anleger Geld abzogen. Das Interesse der Fondsvertreter an den Ratings war verflogen.

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Doch sie hatten die Rechnung ohne Merz gemacht. Aus der einst naiven Analystin, die so schöne Auftragsbewertungen abgeliefert hatte, war nun eine sachkundige Frau geworden, die genau wußte, wo die Schwachstellen der Branche lagen. Sie machte allein weiter, ohne offiziellen Auftrag.

Im September 2004 stellte sie ihre ersten Ratings für alle Fonds der Branche vor. Und diesmal lag sie absolut richtig. Den Deka Immobilienfonds, der just in jenen Tagen in eine tiefe Krise schlitterte, bewertete sie mit "verkaufen". "Dadurch haben wir stark an Vertrauen gewonnen", sagt sie.

Damit aber nicht genug. Deka-Chef Axel Weber bat Merz wenige Tage später um einen Besuch. "Was sollen wir jetzt nur machen", habe er sie flehend gefragt. Einer der großen Männer der Fondsbranche, Herr über jene Fonds, die sich der Marktführerschaft rühmten, bettelte nun bei ihr um Hilfe.

Damit begannen sich die Machtverhältnisse in der Branche umzudrehen. Zum richtigen Krach kam es jedoch erst im Januar dieses Jahres. Damals setzte Merz den Kanam Grundinvest Fonds auf "verkaufen" und begründete dies mit der Gefahr massiver Mittelabflüsse. Tatsächlich trat genau dies ein. Zwei Tage später mußte Kanam seine beiden offenen Immobilienfonds schließen.

Die Branche tobte. Kanam stellte die Qualität ihrer Analysen insgesamt in Frage. Stefan Seip, Chef des Bundesverbandes Investment und Asset Management (BVI), bezeichnete ihr Handeln als "unverantwortlich". Jochen Sanio, Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), ließ verbreiten, die beiden Fonds seien von Merz in die "Illiquidität getrieben worden".

Doch Merz verteidigt ihr Handeln. Und sie bekommt Rückendeckung. "Die Schuld für die Schließung der Fonds bei ihr zu suchen, ist völliger Quatsch", sagt Stefan Loipfinger. Er, der einst über sie lachte, schätzt inzwischen ihr Fachwissen. "Es gibt wenige, die mehr von offenen Immobilienfonds verstehen als sie." Auch Detlev Dietz, Chef der Commerzbank-Tochter Commerz Grundbesitz, glaubt, daß sie "sich mit einem enormen Aufwand an Zeit und mit einer gehörigen Portion gesunden Menschenverstands das Thema erarbeitet hat und eine der wenigen in diesem Land ist, die unsere Fonds heute verstehen".

Die Branche wird daher mit Merz leben müssen. Sie hat sie transparent gemacht, und sie will dafür sorgen, daß dies so bleibt. Die Kritik stört sie nicht. "Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt", sagt sie. Ihre Aufgabe sei es, wie ein Arzt, auch unangenehme Dinge auszusprechen.

Ausgleich findet sie zu Hause bei ihren fünf Kindern und ihrem Mann, in ihrem Haus in Südfrankreich, wo sie lebt und die meiste Zeit arbeitet. Dort vergräbt sie sich Tag für Tag in die Geschäftsberichte und Daten der Immobilienfonds. "Das ist furchtbar trocken", sagt sie. "Überhaupt nicht spannend, gar nicht."

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Wirtschaftsjuniorin Dominique Döttling

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